Aus Heft 92: Primitivgeldsammler 35/2, 86-90 (2014); Bei korrekter Zitierweise ist die Übernahme von kleineren Textausschnitten ohne Rückfrage erlaubt.
Kalo – a little known medium of exchange and currency of the Central Solomon Islands.
Kalo – un moyen d‘ échange et de paiement peu connu des îles salomon centrales.
Frank Reiter
Der Pottwal (Physeter macrocephalus) ist mit etwa 20 m Länge (männliche Tiere, weibliche sind etwas kleiner) und mehr als 50 Tonnen Gewicht der größte Zahnwal der Erde. Nur der Unterkiefer besitzt rund 50 konische Zähne, die bis 30 cm Länge und ein Gewicht von über 1 kg erreichen können. Die Zähne des Oberkiefers sind normalerweise im Zahnfleisch verborgen und somit unsichtbar.
Pottwale kommen in allen Ozeanen vor, hauptsächlich in den Tropen und Subtropen. Besonders in Ozeanien waren sie häufig zu finden. Die Bewohner der Inselgebiete Ozeaniens waren jedoch nicht in der Lage, diese riesigen Tiere zu erbeuten. Nur tote gestrandete Pottwale lieferten ihnen ursprünglich die begehrten Zähne.
Durch den Kontakt mit Walfängern im 19. Jahrhundert gelangten vermehrt Walzähne in den Besitz der Eingeborenen. Nach der Blütezeit des Pottwalfangs zwischen 1840 und 1870 hörte für sie die Zufuhr von Pottwalzähnen auf, die sich “ übrigens nur da zu einem Tauschmittel entwickelten, wo die Eingeborenen das Material bereits vorher kannten und schätzten. So vermochte auch der Verkehr mit Walfängern im Bismarck Archipel (Blanche-Bai, Port Hunter) Spermwalzähne nicht einzuführen. Ebenso wenig auf Kuseie und Ponape, beide in den 50er Jahren beliebte Walfängerstationen“ (Finsch, O. : Südseearbeiten. Hamburg 1914, S. 206f).
Aus diesem sehr harten Zahnmaterial fertigten die Polynesier von Hawaii, Tonga, Fidschi, den Marquesas- und Austral-Inseln Schmuckstücke von beeindruckender Perfektion und Schönheit. Vor allem in der Kultur der Fidschi-Inseln besaßen Pottwalzähne eine geradezu magische Bedeutung. Sie wurden Häuptlingen zum Zeichen der Ehrerbietung überreicht und mit ihnen konnten Kriegsbündnisse und Friedensschlüsse besiegelt werden. Auch in Mikronesien (z.B. in Kiribati, auf Yap und Nauru) waren Pottwalzähne sehr begehrt. Wie bereits erwähnt, spielten sie dagegen in den meisten Inselgebieten Melanesiens keine Rolle. Auf den Santa Cruz-Inseln wurde gelegentlich ein Walzahn als magische Beigabe zum Federgeld verwendet ( Reiter, 2011).
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Eine Ausnahme bilden die Inseln der New Georgia-Gruppe in der heutigen Western Province der Salomonen. Hier müssen Pottwalzähne lange vor den Walfängern eine bedeutende Rolle gespielt haben. Sie waren neben Schilden (lave) und verschiedenen Formen von Tridacna-Ringen Tausch- und Zahlungsmittel. Laut Russell hatten sie zur Zeit des ersten Kontakts der Insulaner mit Weißen einen Wert von ungefähr zwei englischen Pfund pro Zahn (Russel 1948, S. 321) – in jener Zeit ein beträchtlicher Wert für die Insulaner. Auch Hviding führt in diesem Zusammenhang in seinem „Glossary of Marovo Words“ aus: „Sperm whale teeth, very high ranking traditional currency, associated with much spiritual power“ (Hviding, S. 416)
Während meiner drei Reisen in den Salomonen (1991, 2005, 2008) konnte ich in den Dörfern im Gebiet der New Georgia-Inselgruppe einige sehr alte Walzähne – kalo genannt – erwerben. Sie sind von unterschiedlicher Größe. Der kleinste ist 8 cm, der größte 15 cm lang. Wie aus den Abbildungen ersichtlich ist, gibt es in anderen Sammlungen noch größere Exemplare. Ob die Größe der Zähne den Wert bestimmte, konnte nicht in Erfahrung gebracht werden, ist aber zu vermuten.
Fast allen Zähnen aus dieser Region ist eines gemeinsam: Sie weisen unterschiedliche Durchbohrungen auf. Bei den meisten finden sich auf der Innenseite der Krümmung kleine Bohrlöcher von ca. 1 – 4 mm Durchmesser.
Diese sind in Paaren angeordnet, wobei die Löcher jedes Paares dicht beieinander liegen und nicht senkrecht, sondern schräg verlaufen, so dass sie nur wenig unter der Oberfläche zusammentreffen und eine kleine Öse bilden. Vermutlich wurden an diesen kleinen Ösen Schnüre mit Muschelscheibchen als Schmuck oder zur Wertsteigerung angebracht, wie zwei Pottwalzähne (Oc 1929, 0713.9 und Oc 1929, 0713.8) von den Salomonen in den Sammlungen des Britischen Museums zeigen.
Einige Exemplare haben zudem an beiden Enden eine oder mehrere Durchbohrungen, die es ermöglichen, die Zähne an einer Schnur am Körper zu tagen. Der Zahn von Abb. 2 oben weist an beiden Seiten zwei Paar Durchbohrungen gleicher Art mit jeweils 5 mm Durchmesser auf. Das hohle Ende ist einfach durchbohrt. Der Zahn der Abb 3 ist nur der Rand mit vier Bohrlöchern versehen. Sämtliche Bohrungen haben eine mehr oder weniger konische Form, die charakteristisch für steinzeitliche Bohrtechnik ist.
Russell schreibt in seinem kurzen Bericht über kalo: „The carved specimen has two lugs pierced for a cord so that the kalo can be worn round the neck as an ornament. The uncarved specimen has holes drilled in it which allow it to be threaded on a cord for the same purpose“ (Russell 1948). Diese Aussage mag für die Zähne der Abb. 2 und Abb. 3 mit größeren Durchbohrungen gelten. Beim Zahn der Abb. 4 sind die vier Ösen viel zu klein und zu dünn, um einen Zahn dieser Größe und dieses Gewichts (370g) an einer sehr dünnen Pflanzenfaserschnur tragen zu können. Es ist also anzunehmen, dass zumindest die kleineren Pottwalzähne sowohl als Schmuckstücke getragen als auch als Zahlungsmittel verwendet wurden – eine Doppelfunktion wie sie auch in anderen Kulturen Ozeaniens vorkommt.
Es ist bemerkenswert, dass es anscheinend auch „geschnitzte“ Pottwalzähne gegeben hat, wie Russel (1948, S. 321) erwähnt. Einzigartig scheint der aus fossiler Tridacna-Muschelschale gearbeite kalo zu sein Mir ist ebenfalls ein Exemplar bekannt, das in naturnaher Form aus Tridacna geschliffen wurde. Ein weiteres Exemplar befindet sich in der Sammlung von Herrn Maaz in Detmold, der es 2005 auf den Salomon-Inseln erwarb (nachstehend Abb. 5).
Anscheinend hat man Walzähne auf Grund ihrer Seltenheit aus anderem Material (z.B. Tridacna-Muschelschale, Walknochen) nachgeahmt. Ob solche Imitationen als gleichwertig mit natürlichen Zähnen angesehen wurden, ist nicht bekannt.
Einen interessanten Aspekt erwähnt Tedder (1976, S. 88). Wie Hviding verweist sie auf das beträchtliche Alter der Walzähne. Bei ihren Erkundungen alter Begräbnisstätten bzw. – kammern auf New Georgia Island fand sie neben Schädeln und Gebeinen bedeutender Inselbewohner vollständige Tridacna-Ringe, Bruchstücke derartiger Ringe und Bruchstücke von durchbrochen gearbeiteten Tridacna-Platten ganz vereinzelt auch Walzähne, die vermutlich ebenfalls als Geldopfer niedergelegt worden waren (Abb.6).
Ebenso berichten Aswani und Sheppard (2003, S. 66) dass Pottwalzähne nur in wenigen Begräbnisstätten bzw. -schreinen auf Nusa Roviana zu finden waren. Offensichtlich waren Walzähne das seltenste Zahlungsmittel, was auf Grund ihrer geringen Verfügbarkeit durchaus erklärlich ist. Weiterhin schreiben Aswani und Sheppard (2003 S. 66), dass es in den Überlieferungen der Inselbewohner Hinweise darauf gibt, dass mit kalo vor allem gemahlene Ngali-Nüsse (Carinarium sp.) von Simbo eingehandelt wurden. Auf Simbo selbst hatten die Zähne vermutlich einen höheren Wert. Kalo wurden oftmals auch als Erbstücke in den Familien aufbewahrt, insbesondere wenn sie mit einem bestimmten Ereignis, einer Person oder einem Bündnis in Verbindung standen.
Die genaue Bedeutung und Verwendung der Pottwalzähne ist bei den meisten der heutigen Inselbewohner längst in Vergessenheit geraten. Allerdings traf ich 1991 in der Nähe von Munda einen alten Mann, Daga (nach eigenem Bekunden 89 Jahre alt) aus dem Dorf Vulea. Er berichtete mir, dass in seiner Jugend Walzähne zum Kauf von Land, zur Schlichtung von Land- und anderen Streitigkeiten sowie für Kompensationszahlungen verwendet wurden.
Im Gegensatz zu anderen indigenen Zahlungsmitteln der Salomonen wie Muschelgeld und Tridacna-Ringe, die verschiedentlich heute noch in Gebrauch sind, gehören kalo zu den historischen Zahlungsmitteln.
Literaturverzeichnis F. Reiter, Kalo, 2014