Baretule – das „Hexengeld“ der Frafra und Nankani in Nord-Ghana


Aus Heft 85: Primitivgeldsammler 32/1/ (2011); Bei korrekter Zitierweise ist die Übernahme von kleineren Text-Ausschnitten ohne Rückfrage erlaubt.

Baretule – das „Hexengeld“ der Frafra und Nankani in Nord-Ghana

Baretule – The „Witch-Money“ from the Frafra and Nankani in Northern Ghana
Baretule – „Sorcières de l´argent“ la Frafra et Nankani dans le nord du Ghana

Johannes Glaser

Dass Afrika immer noch für Entdeckungen gut ist, erfuhr ich bei einer Feldforschungsreise im März 2009. So entdeckte ich in einem Frafra-Gehöftein recht seltsam anmutendes Eisen-Objekt, wie ich es noch nie zuvor in ähnlicher Ausführung zu Gesicht bekommen hatte. Es war dies ein sauber geschmiedetes, etwa 12 cm langes „Doppel-Messerchen“ mit zwei sich gegenüber liegenden sichelförmigen „Schneiden“.

Abb.2: baretule / soa-sooba Money unterschiedlichen Alters, 10-17 cm

Dieses Objekt lag, zusammen mit anderen Gerätschaften (siehe unten: Sooba Nutua) an einem Gebune2, um Hexen- bzw. Schadenzauber auszutreiben und vom Gehöft fern zu halten3. Auf meine Frage, um was für ein „Gerät“ es sich hierbei handelt und ob es mehrere ähnliche Stücke im Gehöft gäbe, bekam ich lediglich zur Antwort: „That´s Sooba Money“4. Weiterer Versuche, mehr über die Gebrauchseigenschaften dieses Gegenstandes in Erfahrung zu bringen, schlugen fehl und wurden, höflich ausweichend damit beantwortet, dass man aus Sicherheitsgründen nicht mehr darüber sagen dürfe. Nur so viel bekam ich noch heraus, dass solche Objekte landläufig als Baretule5 (engl.: Twisted Knife) bekannt wären und nur die Frafra und Nankani solche Objekte herstellen und besitzen würden. Weitere Nachforschungen blieben in den darauf folgenden Wochen und Monaten erfolglos.

Erst ein Jahr später, im März 2010, stieß ich in situ rein zufällig erneut auf identische Objekte, als ich im Rahmen meiner dortigen Langzeitstudie, bei einer Reihe von Befragungen von Dorfältesten, wieder einige abgelegene Frafra-Gehöfte im Sokabiisi-Distrikt, in Zuarungu6 und in Yiken besuchte.

Im Sokabiisi-Distrikt wurde ich zum zweiten Mal fündig und entdeckte, wieder an einem Gebune, drei dieser Baretule. Hier erfuhr ich vom ortsansässigen Bakolego7, dass diese Objekte in früheren Zeiten auch als eine Art Zahlungs- bzw. Tauschmittel fungierten – jedoch, anders als die ebenfalls für Transaktionen benutzen Bronze- und Messingreife8 der Frafra und Nankani (Tafel XVI Abb.1), nur mit gewissen Einschränkungen in den Handel einbezogen wurden.

Die Baretule konnten ausschließlich nur für solche Transaktionen verwendet werden, bei denen Opfergaben eingetauscht/gekauft wurden, die ausschließlich bei der Aktivierung eines Gegen- bzw. Abwehrzaubers Verwendung fanden. Deshalb wurde das „Twisted Knife“ auch als „Hexengeld“ bezeichnet, denn man erwarb damit nur jene Dinge, die zur Abwehr von Hexenkraft/ Schadenzauber eingesetzt wurden. So konnte man lt. Aussage des Wahrsagers beispielweise ein großes, fettes (Opfer-) Huhn für etwa 5 bis 8 Stück Sooba Money (bzw. Baretule) bekommen, einen kleinen braunen Hund für etwa 10 und einen großen schwarzen Hahn für ca. 8 bis 12 Stück9. Umgekehrt, also für den Erwerb solcher Baretule, musste man auch recht tief in die Tasche greifen und, je nach Anzahl und Größe der gewünschten Stücke, entweder ein Huhn, einen Hahn, eine Ziege oder einen Hund herbeischaffen10. Der Wert eines einzelnen Baretule hing hier immer von dessen Größe und der Anzahl der in der Mitte der beiden Schneiden befindlichen Schlaufen ab(Tafel XVI Abb.2).

Die nächsten Baretule zeigte man mir ein paar Tage später in Zuarungu (in Gehöft A= 3 Stück, Gehöft B= 7 Stück) und Yiken (Gehöft A= 5 Stück), als ich gezielt, und mit dem nötigen Hintergrundwissen ausgestattet, direkt danach fragen konnte. Dabei wurden die vorher beim Wahrsager gesammelten Aussagen von den anwesenden Ältesten immer wieder in allen Punkten bestätigt und in Zuarungu um die Aussage erweitert, dass dieses „Hexengeld“ auch heute noch gelegentlich hergestellt und auf lokalen Märkten von den Schmieden der Frafra und Nankani zum Kauf angeboten würde. Daraufhin besuchte ich an den entsprechenden Tagen reihum alle stattfindende Märkte, wurde aber erst nach zwei Wochen fündig. Ich traf einen alten Schmied in Bolgatanga, der dort, neben vielen anderen eisernen Schutzmitteln, auch einige Baretule zum Verkauf anbot(Tafel XVII Abb.3). Die Preise waren/sind hier, entgegen den Handelsgepflogenheiten beim Erwerb anderer Gebrauchsgegenstände, nicht verhandlungsfähig und es gibt beim Kauf mehrerer Stücke nur einen winzigen Mengenrabatt vom Schmied selbst angeboten, da ein Feilschen um den Preis solchen Objekten die ihnen eigene (Schutz-)Energie rauben könnte. Für ein kleines, ca. 10 cm langes Baretule, muss man heute umgerechnet 1 Cedi (ca.0,50 €) bezahlen. Die wertvollsten Stücke, ca. 17 cm lang und mit zwei oder drei Schlaufen versehen, kann man für etwa 2 Cedi (1,00 €)11 bekommen. (Im Vergleich: Für ein fet-tes Huhn bezahlt man mit etwas Glück und Übung bei den Preisverhandlungen ca. 4 Euro, für ein Perlhuhn ca. 5 und für einen großen Hahn etwa 6 Euro.)

Abb.3: Warenauslage eines Schmiedes in Bolga, 03/2010

Wie es hier zu einer scheinbar recht konstant gehandhabten hohen Werthaltigkeit, bzw. sogar einer möglichen „Aufwertung“ der Baretule kam (im Vergleich zum Wert vor/bis 1940/42 und im Vergleich zu den Preisen anderer Metallarbeiten), kann nur Spekulation bleiben, gleichwohl der Schmied eine recht annehmbare Erklärung zu Protokoll gab: „Der Preis der Baretule ist deshalb so hoch, weil nur sehr wenige Schmiede diese Objekte herstellen können und nur wenige Menschen diese dann auch erwerben. Wenn jemand solche Objekte erwirbt, so benötigt er einen sehr starken Abwehrzauber und der kostet selbstverständlich dann auch mehr als ein gewöhnlicher.“12

Auf meine Frage, ob ich mit diesem „Hexengeld“ auch heute noch ein Huhn oder einen Hund für die Installation eines Abwehrzaubers kaufen könnte, kam als Antwort nur ein verhaltenes: „vielleicht“!?

Die Nagelprobe wurde gemacht. Ich erwarb 10 Baretule unterschiedlicher Größe vom Schmied und zog zusammen mit meinem langjährigen Freund und Dolmetscher (M. Ayine) zu dem Teil des Marktes, in welchem ausschließlich Geflügel angeboten wird. Nach etwa 12 vergeblichen Versuchen und spöttischen Bemerkungen seitens der Händler traf ich auf einen Alten, der kleine/junge braune Hühnchen verkaufte. Nach schier endlosen Erklärungen, weshalb ich mit „Sooba Money“ und nicht mit Cedi bezahlen wolle, wurden wir uns doch noch handelseinig und ich erwarb für 1 großes und 6 kleine Baretule ein wirklich sehr kleines Hühnchen – für umgerechnet also vier Euro. Ein so kleines Geschöpf, wie das von mir erworbene, hätte man zwar locker schon für 3-4 Cedi bekommen können. Aber hier muss man aus Rücksicht auf den doch sehr ungewöhnlichen Handel und die völlig ungewöhnlichen Zahlungsmittel dem Verkäufer preisliche Zugeständnisse machen! Das Risiko, dass er die Baretule nur zu einem viel geringeren Preis wieder los wird, als ich für jene beim Schmied bezahlt hatte, wiegt schwer und wird ganz sicher in seinen Überlegungen zur Preisfindung eine nicht unwesentliche Rolle gespielt haben.

Insgesamt konnte ich in vier Dörfern 4 Batch zu 3, 3, 5 und 7 Stück Baretule erwerben, die dort entweder bereits ihren „Dienst“ getan und außer Funktion gestellt waren, oder seit längerer Zeit bereits zweckentfremdet gehandhabt wurden – z.B. als „Kleiderhaken“ in eine Lehmwand geschlagen.

Nur durch Zufall und den Hinweis von M.Ayine war es mir vergönnt, bei einem Funeral13 Anfang April des gleichen Jahres, auch noch die Baretule in einer weiteren Funktion (als Schutzamulett) am Hals eines Kriegstänzers dokumentieren zu können(Tafel XVII Abb.4).

Abb.4: Funeral in Bongo, Kriegstänzer mit zwei Baretule u. Fingerglocke, 04/2010

Die in Abb.5 (Tafel XVII) gezeigten Sooba Nutua (Gurenne = Hexen-Fingerringe14) der Frafra und Nankani findet man bei beiden Ethnien recht häufig an deren Schutz-Schreinen, sind aber in identischen Ausführungen über weite Teile Westafrikas verbreitet. So findet man ähnliche Stücke bei den Kirdi in Kamerun und den Yoruba in Nigeria. Auch bei den Moba und Tamberma in Nord-Togo konnte ich ähnliche Stücke sehen. Bei den Frafra und Nankani15 werden solche Objekte vorzugsweise als Fingerringe (Nutua) während(!) der Installation oder Beopferung eines Hexenkraft-Abwehrzaubers/Schreins oder als Schutzamulett am Hals oder der Hüfte getragen. Auffällig ist jedoch die fast einhellige Nutzung solcher Objekte. Denn egal in welchem westafrikanischen Kulturkreis man sie auch aufstöbert, fast immer waren/sind sie dort als Schutzamulett(e) im Gebrauch. Ihrer enormen Verbreitung wegen ist aber auch der Gedanke an einen einstigen Zahlungsmittel-Charakter solcher, meist aus einer Cu-Legierung im Wachsausschmelzverfahren16 gefertigter Objekte, nicht gänzlich von der Hand zu weisen und ganz sicher weiterer Nachforschungen wert.

Abb.1: Sechs gumatia niho Armreife, 17. bis 19. Jh., 918-196 g, FO.: Yorogo u. Sokabilsi

Abb.5: Soa-sooba („Hexenringe“), Dorn-Länge ca. 60-90 mm) „ZITIERWEISE: Glaser, Johannes: Baretule – das „Hexengeld der Frafra und Nankani in Nord-Ghana. Primitivgeldsammler 32/1, 35-38 (2011)“

 

Literatur: 
Da ich trotz intensiver Recherchen in punkto Baretule (oder ähnliche Objekte) nirgends einen verwertbaren publizierten Hinweis finden konnte, kann an dieser Stelle auch nicht auf weiterführende Publikationen oder verwendete Primärliteratur hingewiesen werden. Der hier vorab und „solo“ publizierte Beitrag wird jedoch Bestandteil meiner noch in Arbeit befindlichen Publikation zur materialisierten Kultur der Frafra und Nankani sein (Titel: Johannes Glaser; GUMATIA TAHO – Eine Langzeitstudie zur materialisierten Kultur der Frafra und Nankani in Nord-Ghana, 1995-2010; Drucklegung voraussichtlich 2011) und ist dann im Kapitel über Metallverarbeitung im entsprechenden Kontext publiziert.

© 2011 und  2012 Eucoprimo

Fussnoten:

  1. Im Sokabiisi-Distrikt, südl. von Bolgatanga (U.E.R. i. N.-Ghana)
  2. Gurenne: Bezeichnung für einen äußerst gefährlichen Schrein, der vorrangig der Abwehr von Hexenkraft/Schadenzauber dient. In den Händen eines Tiimdaana (Fetischpriesters) kann ein solcher Schrein auch zur Installation eines Schadenzaubers verwendet werden.
  3. Gurenne: Sooba soolem base yenga
  4. „Das ist Hexengeld“ ((Soa-sooba = Gurenne: sing. für Hexen(-Kraft), pl.
  5. Gurenne: Bare von Barga = kleines Messer, auch: Bareg, pl.Barese = kl. Rasiermesserchen; tule = gedreht
  6. Auch: Zurengo. Einstige Hauptstadt der Frafra (Gurense) in der Nähe von Bolgatanga
  7. Gurenne: Wahrsager
  8. Reife vom Typ Gumatia Niho (Auge des Chamäleons) aus dem 17.-19. Jh., wie sie bis ins 20. Jahrhundert hinein bei Frafra & Co. auch als vormünzliches Zahlungsmittel im Gebrauch waren.
  9. Die Angaben sind für die Zeit vor/bis 1940 anzusehen. Der interviewte Bakolego wurde 1925 geboren und schilderte das Tauschverfahren und den Wert der Baretule zum Zeitpunkt seiner Kinderzeit/frühen Jugend. Eine exaktere Aussage zur Größe und Anzahl der beim Kauf von Opfertieren verwendeten Baretule konnte vom Bakolego nicht mehr gemacht werden. Nach 1940/42 soll dieses Tauschmittel kaum noch als Zahlungsmittel angenommen/akzeptiert worden sein und wurde dann fast ausschließlich als Hexenzauber-Abwehr angeboten /eingekauft und an den entsprechenden Schreinen oder direkt als Körper-Amulett verwendet. Die Baretule kann man seither vereinzelt (1940/42 bis heute) für Landeswährung von entsprechenden Schmieden erwerben.
  10. Das Bezahlen von Baretule mit kolonialen Zahlungsmitteln oder mit Goldstaub soll lt. Aussage des Wahrsagers verpönt/unüblich gewesen sein. Auch die Opfertiere für diesen bestimmten Gegenzauber sollten ausschließlich mit den Baretule bezahlt worden sein (Zeit bis etwa 1940/41)
  11. Wechselkurs März 2010
  12. Protokoll vom 11.03.2010, Übersetzer: M. Ayine (Bolgatanga)
  13. Begräbnis-Feier
  14. Gelegentlich auch als Hexenstäbe bezeichnet, wenn diese Objekte bei den Frafra oder Nankani nicht als Ring getragen, sondern als Abwehrmechanismen an einen Schrein gestellt oder in einen solchen hineingesteckt wurden/werden.
  15. Bei einigen Nachbarn der Frafra und Nankani (Sisala, Bulsa und Kassena) konnte ich das Vorhandensein der Sooba Nutua bislang nicht nachweisen. Die Nabdam und Tallensi scheinen solche Objekte zu kennen, aber einen Nachweis für den Gebrauch konnte ich auch dort noch nicht erbringen. Bei den Zebre (Nähe Logri, N-Ghana), einer erstmals 1997 von mir als Untergruppe der Nabdam dokumentierten Ethnie, fand ich 2003 ein einzelnes dieser Objekte, welches in der Nähe des Klangründer-Schreins (Schrein des Lineage-Gründers Zerbre) in den Boden gesteckt war. Es fungierte dort als „Pflock“ für ein daran angebundenes Opfer-Hühnchen und wurde damals von mir nicht als sakrales/rituelles Objekt wahrgenommen, entsprach aber in Größe und Form den in Abb.5 (Tafel XVII) gezeigten Stücken.
  16. Literatur zur Technik: Johannes Glaser; CIRE-PERDUE, Geheimnis und Faszination des westafrikanischen Gelbgusses, Berlin 2005